Chongqing - Weihnachten auf dem Jangtse

Der Morgen im Nachtzug nach Chongqing begann mit einer böse Überraschung... Kirstie litt an einer Lebensmittelvergiftung und hatte sich zu allem Überfluss eine Platzwunde am Kopf zugezogen, als sie auf der Zugtoilette umgekippt war. Wirklich nicht der hygienischste Ort, ich hatte erst am Abend vorher einen kleinen Jungen mit Hilfe seiner Mutter vors Waschbecken pinkeln sehen. Wir desinfizierten die Wunde, verarzteten sie mit Leukostrips so gut es in dem schwankendem Zug eben ging und beschlossen, definitiv nicht - wie ursprünglich geplant - am selben Abend noch ein Schiff zu betreten. Also suchten wir nach einem Hostel im Lonely Planet und nahmen ausnahmsweise ein Taxi dorthin. Vielleicht tat eine kleine Pause uns allen gut... 

Chongqing liegt auf einer Insel am Zusammenfluss von Jangtse und Jialing und ist der Ausgangspunkt der Flusskreuzfahrten, die durch die Drei Schluchten führen. Die "Stadt der Berge" besitzt viele sehr steile Straßen, vor allem in der Hafengegend, und sogar eine Seilbahn über den Jangtse. Wenn man nur die administrative Stadtgrenze betrachtet, ist Chongqing mit fast 29 Millionen Einwohnern und einer Fläche, die der Österreichs entspricht, die größte Stadt der Welt. In der eigentlichen Kernstadt leben aber "nur" ca. 4,3 Millionen.

Blick von unserem Hostel auf die Dongshuimen Brücke
Blick von unserem Hostel auf die Dongshuimen Brücke

Das "wahre" China

Während Kirstie sich im Hostel von den Strapazen der Zugfahrt erholte, machten Arthur und ich uns auf Erkundungstour. Das Chaotianmen Dock war eine einzige Baustelle und wir fanden keinerlei Hinweise mehr auf das Passagierschiff, das wir ursprünglich nehmen wollten. Bei unserem Spaziergang im Hafenviertel wurden wir immer wieder auf die Kreuzfahrten angesprochen, die wir eigentlich nicht machen wollten. Leider blieb uns am Ende nichts anderes übrig, wir buchten aber in unserem Hostel, aus Protest gegen die aufdringlichen Verkäufer. Chongqing selbst beherbergt keine wirklichen touristischen Highlights, ist aber dafür ein Paradebeispiel einer chinesischen Großstadt. Die Straßen sind voller Menschen, das Gedränge ist vergleichbar mit der Kaufinger Straße am letzten Samstag vor Weihnachten und das an einem ganz normalen Tag! Abends wird in den Parks getanzt und es gibt gutes scharfes Sichuan Essen an jeder Ecke. Ziemlich enttäuschend war allerdings das angeblich historische Dorf Ci Qi Kou, das sich als eine wahre Touristenfalle entpuppte. Abseits der mit Souvenirläden gesäumten Straßen, befand sich jedoch ein wahres Labyrinth aus kleinen Gassen und Treppen, das uns durch verlassene Hinterhöfe und an halb zerfallenen Häusern vorbei führte. Der krasse Gegensatz zu den nur wenige Meter entfernten geschäftigen touristischem Teil, ließ es fast gespenstisch erscheinen. Die Graffiti Straße dagegen überzeugte uns mehr: hier hatten Künstler versucht die grauen Betonklötze ihres Viertels mit bunter Street Art zu verschönern. 

Aufgrund der Lage am Berg und der steilen Straßen gibt es in Chongqing immer noch die Bang-Bang Männer. Bang-Bang ist das chinesische Wort für Bambusstab, mit diesem einfachen Werkzeug und einem Seil, tragen die Männer manchmal mehr als ihr eigenes Körpergewicht die geschäftigen Straßen entlang. Für wen ist dabei vollkommen egal. Leider gibt es immer weniger von ihnen (hier könnt ihr dazu mehr erfahren). Im Hafenviertel sind sie aber noch zusehen. Man kommt sich dort vor wie in einem Ameisenhaufen: überall sind Leute unterwegs, kaufen, verkaufen oder tragen etwas. Dabei scheinen sie ihrem eigenen, für einen Außenstehenden nicht zu erkennenden, System zu folgen. Die Straßen und Gassen sind gesäumt von großen Paketen und Taschen, die nur darauf warten an ihren Zielort gebracht zu werden. Wir schlängelten uns durch das emsige Treiben zum Supermarkt, um unseren Proviant für die Kreuzfahrt zu kaufen. Wir hatten Betten in der 3. Klasse gebucht und wollten uns so weit es ging an Board selbst versorgen. Die Auswahl an Instantgerichten war überwältigend und die Megafone, die einem in jedem Gang andere Angebote entgegen kreischten, halfen uns nicht gerade dabei eine Entscheidung zu treffen. Völlig erschöpft kamen wir in letzter Minute im Hostel an, um uns dann sofort auf den Weg zum Bus zu machen, der uns zu unserem Kreuzfahrtschiff bringen sollte.

Eine Kreuzfahrt chinesischer Art

Unser Abenteuer "Chinesische Kreuzfahrt" begann mit einer dreistündigen Busfahrt, da wir aus Zeitgründen den ersten Teil des Jangtse übersprangen und von Wanzhou starteten. Auf halbem Weg wurden wir in einer anderen "historischen" Stadt abgesetzt, die auch aus bestimmt sehr antikem Beton gebaut war. Dort konnten sich unsere Mitreisenden austoben und überteuerte Souvenirs kaufen. Da wir nicht wussten wann wir zurück sein mussten - es gab nur Informationen auf Chinesisch - beschlossen wir, die anderen im Auge zu behalten. Eine große Hilfe war uns eine Chinesin in einem weißem Pelzmantel, die man leicht von weitem ausmachen konnte und die wir liebevoll "white furry thing" tauften. Gegen Abend erreichten wir dann endlich unser Schiff und konnten unsere 3. Klasse Kabine begutachten, die wir uns mit drei Mitreisenden teilten. Alles war sehr schlicht und beim Anblick des "Badezimmers" war uns gleich klar, dass wir definitiv nicht duschen würden. Immerhin gab es genug Schwimmwesten hinter meinem Bett.

Weder unsere Zimmergenossen, noch irgendwer anders sprach auch nur ein Wort Englisch an Board und wir waren sehr froh über die nützlichen chinesischen Sätze, die uns unser Hostel aufgeschrieben hatte, unter anderem: "Wo bekomme ich heißes Wasser?" oder "Wann müssen wir zurück auf dem Schiff sein?" Nach einer ausführlichen Erkundung des Schiffes, mit einem kleinem Blick in den Maschinenraum, feierten wir unseren ersten Abend an Deck mit einem Bier und Blick auf den Jangtse bei Nacht.

Am nächsten Morgen wurden wir gegen 6:00 Uhr von der Schiffssirene geweckt, einer der Ausflüge, an denen wir nicht teilnahmen, stand an. Wir hatten uns nach langem Hin und Her, dazu entschieden zumindest die Bootsfahrt zu den Drei Kleinen Schluchten zu buchen, die am Nachmittag stattfinden sollte und genauso viel kostete wie die drei Tage Kreuzfahrt (!). Wir beschlossen die Zeit während, die anderen unterwegs waren zu nutzen und liefen allein etwas an der Stadtmauer entlang und schauten uns um und wurden angeschaut. Manchmal kamen wir uns vor wie Tiere im Zoo, da wir ohne Scham einfach nur angestarrt oder mitten aus einer Unterhaltung in ein Selfie gezerrt wurden. Wieder kam dabei die Frage auf, warum Chinesen so besessen auf Urlaubsfotos mit ihnen völlig fremden Europäern sind...

Für unsere Fahrt zu den Drei Kleinen Schluchten stiegen wir auf ein kleineres Boot um, das Ganze kam mir etwas vor wie eine Kaffeefahrt. Die guten Plätze oben an Deck durfte man nur nutzen, wenn man noch zusätzlich zahlte und die gesamte Rückfahrt war eine einzige Verkaufsveranstaltung, aber dazu später mehr. Wir bewunderten die Schluchten eben in der Kälte draußen und sangen mit Weihnachtslieder - es war immerhin Heilig Abend - gegen die Dauerbeschallung auf Chinesisch aus den Lautsprechern an. Etwas später wurden wir auf ein weiteres, noch kleineres Boot verfrachtet, um den letzten Teil der Schluchten zu erkunden. Unserer singender (bzw. grölender) und auf Animateur machender Reiseführer bildete einen krassen Kontrast zu der stillen und idyllischen Landschaft, die langsam an uns vorbei zog. Für weitere "Unterhaltung" sorgten unsere Mitreisenden, die sich als Fischer kostümiert in lächerlichen Posen fotografieren ließen. Anscheinend ist ein Foto wichtiger als die Erfahrung. Wer glaubt einem schon, dass man irgendwo war, wenn man kein Foto gemacht und kein kitschiges Souvenir erstanden hat?!? Gleich nach dem "Shooting" wurden uns deswegen Schlüsselanhänger angeboten, wir waren wirklich die Einzigen, die keinen kauften. Wir bekamen langsam das Gefühl, dass ein chinesischer Urlauber so viel Geld, wie möglich ausgeben will.

Auf dem Rückweg verstärkte sich dieser Eindruck eines reinen Konsumurlaubs noch, als sich um das überteuerte, wie in einem Teleshopping Kanal angepriesene, Trockenfleisch - zumindest vermuten wir, dass es das war - gerissen wurde. Der Unterschied zu unserer Backpacker Einstellung könnte größer nicht sein. Zurück auf unserem Kreuzfahrtschiff hatten wir nach dem Abendessen, die Aussicht einmal ganz für uns allein und konnten die Stille genießen, während die Wu-Schlucht, die zweite der drei Schluchten, in den grauweißen Nebelschwaden verschwand. Den Großteil der letzten, der Xiling-Schlucht durchquerten wir bei Nacht und erreichten am Vormittag den Drei-Schluchten-Staudamm, der 2007 fertig gestellt wurde und die Landschaft hier und vor allem die Schluchten erheblich verändert hat. Da wir kein Interesse daran hatten den umstrittenen Staudamm zu besichtigen, machten wir uns gleich auf den Weg nach Yichang, wo wir unser improvisiertes Weihnachtsessen kochten.

Frohe Weihnachten! :)

Wenn ihr wissen wollt, wo ich mich zur Zeit aufhalte...

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